21.1.07

Ins Wasser fällt ein Stein - nicht.

Mannheim, Jungbusch. Seit vier Monaten sind wir im Dschungel. Ich zähle die Tage. Noch fünf Jahre; verdammt... Warum hab' ich mich nur freiwillig gemeldet. Die 'Grunts' ham von Anfang an Witze gemacht. Ein Bursche aus gutem Hause sollte nich an so einem gottlosen Ort sein. "Warum bist du nich zu Hause am College und studierst was Kluges, bei deim Mädel, das auf dich wartet? Du musst ein Vollidiot sein..." Man darf sie nich falsch verstehen. Es sind einfache Burschen, roh wie ne Flasche Wodka, aber sie haben eine gute Seele an der ein goldenes Herz unten dran hängt. Manche sind schon eine halbe Ewigkeit hier, ham alle viel gesehen und viel mitgemacht. Sie sind alle müde. Müde und dumpf. Der Jungbusch verändert einen. Langsam aber sicher wird man verrückt oder taub. Entweder hat man dauernd Schiss, richtigen Schiss, oder man langweilt sich zu Tode. Jeden Tag der gleiche Scheiß... Mit feuchten Klamotten, die bei hier nie trocknen, vollgesogen mit Dschungeldampf und Schweiß kleben sie an der Haut, mit schweren Rucksäcken voller Steine, oder was der Sgt. einem sonst so schleppen lässt, mit Blasen an Füßen in Stiefeln, die man nie ausziehen kann, weil irgend ein Witzbold mir im Schlaf einen vietnamesischen Seemannsknoten in die Senkel gemacht hat, mit roten Feuerameisen im Nacken, überall, kein Schlaf, kein Bett, scheiß Essen, scheiß Scheiße.
Charlie war ruhig gewesen in den letzten Tagen. Die Kämpfe ham sich wohl mehr nach Norden verlagert, Fluss aufwärts, ab und zu kommt ein Boot zurück, bei uns vorbei, mit lebenden Leichen an Bord, mit Männern, die zu tief drin waren, sie waren zu nahe am Nichts. Wird nichmehr lange dauern, bis sie uns auch da hoch schicken. Dann isses vorbei.
Ich geh oft zum Fluss runter und versuch Steine rüber zu werfen. Sind knappe 45 Meter, ich schaffs fast. Es is wie meditieren, es tut gut, ein Ziel vor Augen zu haben.
Aber gestern is was passiert. Immer so gegen die Mittagszeit finden sich die Komorane am Fluss ein. Die eleganten schwarzen Vögel fliegen knapp über dem Wasser. Immer zu zweit. In Formation suchen sie mit ihren scharfen Augen nach Fischen im Dreckswasser, ham sie ein gesichtet, wechseln sie die Elemente. Sind verteufelt gute Taucher.
Als wieder zwei ankamen, hab ich einen Stein nach ihnen geschmissen. Sie waren gute 30 Meter weg, ham sicherlich 50 Sachen drauf gehabt - keine Chance die zu treffen. Ich hab aber getroffen. Hab einen voll an der Seite erwischt. Er is noch ein Stück weitergeflogen, dann wurde sein Flügelschlag unkontrolliert. Er is aufs Wasser geklatscht und hat noch die Kraft gefunden, abzutauchen. Mir is das Herz stehen geblieben. Ungefähr eine zehntel Sekunde hab ichs nich geblickt, dann hab ichs nich fassen können, kurz hab ich mich gefreut, dass ich tatsächlich getroffen hab, was in meinen Augen das Unwahrscheinlichste war, dass ich je geleistet habe, ja, sogar was sich je vor meinen Augen abgespielt hat. ONE SMOOTH MOVE. Natürlich wollte ich den armen Kerl treffen, hab ja den Stein in seine Flugbahn geworfen, aber ich wollte ihn nich getroffen haben. Als mich das Mitleid und das schlechte Gewissen mit voller Wucht erschlagen wollte, isser wieder aufgetaucht und weitergeflogen. Zum Glück. Und zum Glück hats der Bolivianer gesehen. Zurück bleibt die verwirrende Erkenntnis, dass ich nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit nie wieder in meinem Leben einen Vogel im Flug mit einem Stein treffen werde. Oder, dass man sich überlegen sollte, was man probiert, es könnte ja auch klappen. Anders wie Homer Simpson einst sprach: "You tried, and you failed. So what did you learn? Never try!", aber das Fazit bleibt das Gleiche. Und als wär der Tag mit diesem Ereignis nicht schon unwahrscheinlichkeitstrunken genug gewesen, hat sich am Abend der Chef meiner Lieblingsspelunke ans Pissoir neben meinem gestellt. Ich hab sowas gesagt wie: "Schöne Kneipe." Er: "Kommst du aus Mannheim?" "Ne, Nordschwarzwald." "Calw?" "Ja." "Meine Schwester is Lehrerin dort." "Ich hab vorhin ein Kormoran per Hand ausm Himmel geholt, würde mich nich wundern, wenn deine Schwester meine Mutter is"

Die Welt wird immer kleiner. Mein bulgarischer Kamerad kennt meinen Onkel aus Unterlengenhardt und mein Wirt kennt Calw. Und ich treff den Vogel, als wär er einen halben Meter von mir weg gewesen.

Kurz: Ich arbeite jetzt bei Europcar neben dem McDonalds, muss saubere Autos putzen und rumfahren und ich geh morgen (Montag) um 10 Uhr früh für eine Woche o. ä. in die Bundeshauptstadt.

4 Kommentare:

David Gabriel Fischer hat gesagt…

schöne darstellung des comoran zwischenfalls. die grafik ist super. lass ich mir gleich morgen auf DIN A2 ausdrucken, auf schaumstoff aufziehen und dann häng ichs mir ins bad. danke

Anonym hat gesagt…

Hallo Janosch,
heut hab ich mich mal in den Janoschblog begeben und alles gelesen - manche Schreibe erinnert mich an wen, macht aber Spaß sich reinfallen zu lassen.
Gott sei Dank lebt der Vogel noch und die Blumen leben noch und selbst die Speisereste bewegen sich schon langsam. Vielleicht schaffen sie's ja bis zur Hauptstadt und statten dir einen Besuch ab. Also wir sind heute im Schnee versunken, deine Armeskraft zum Schneeschippen hat gefehlt, aber die Frauenpower hats auch so hingekriegt. Wie man hört ist Mannheim mit samt der Kurpfalz völlig verschont geblieben vom weißen Wetter - wie habt ihrs in Berlin?
Wenn am Sonntag deine Omi 72 wird und wir Grießklößchensuppe kriegen und noch so lecker Sachen, dann denken wir an dich und malen uns aus wie du gierig auf den Türspalt starrst durch den die Speisereste durchgekrochen kommen um dem Verzehr entgegenzuwabern, aber wenn du nach Wildbad kommen willst zum Sonntag - bist jedenfalls eingeladen von der Omi. Als dann bis die Tage und lass die sauberen Autos nicht so lange warten...Courage

Anonym hat gesagt…

abgefahrene story mann ...
ich hätt mich halt in den tod gelacht wenn ich den vogel getroffen hätte...
hau rein
gruß schnai

Anonym hat gesagt…

Ich war da - und er hat den Vogel definitiv NICHT getroffen!